Peter Štih: SUCHE NACH DER GESCHICHTE

SUCHE NACH DER GESCHICHTE
ODER
WIE DER KARANTANISCHE FÜRSTENSTEIN
DAS NATIONALSYMBOL DER SLOWENEN GEWORDEN IST

Die in der Folge behandelte Problematik lässt sich sehr anschaulich durch ein vor einem knappen Jahrzehnt entstandenes Bronzerelief einführen und thematisieren. Es handelt sich um das Relief auf dem neuen Tor des West- bzw. Hauptportals der erzbischöflichen Domkirche in Ljubljana(1). Die besondere Bedeutung, die im Allgemeinen dem Westportal einer Kirche in gewissen liturgischen Kontexten zukommt, wird im Fall der Domkirche zusätzlich dadurch hervorgehoben, dass das Tor von keinem geringeren als Papst Johannes Paul II. anlässlich seines ersten Besuches in Slowenien im Jahre 1996 geweiht worden ist. Auf symbolischer Ebene hat der Papst damit nicht nur das Haupttor einer Domkirche geweiht, sondern auch die Slowenen selbst und ihre Geschichte, denn das Tor wird Slowenisches Tor genannt, es veranschaulicht in Einzelbildern und vom kirchengeschichtlichen Standpunkt das Schicksal des slowenischen Volkes. Für unsere Erörterung ist der Unterteil besonders interessant – dort dominiert im Zentrum ein mächtiger Lindenbaum als Symbol des Slowenentums. Die Szene links davon (vom Betrachter gesehen) bezieht sich auf die Taufe der beiden ersten christlichen Karantanenfürsten während ihrer Zeit als Geiseln in Bayern. Rechts neben der Linde ist der Fürstenstein zu sehen, der in der Erklärung als “Symbol der slowenischen Staatlichkeit” bezeichnet wird. Auf dem Fürstenstein, um den sich eine große Menschenmenge versammelt hat, findet eine symbolische Handlung (Darbringung ?) statt, die auf keinen Fall mit der Einsetzung verbunden werden kann. Im Hintergrund sind die beiden Glockentürme der Kirche von Maria Saal zu sehen, während der rechte Torrand von einem segnenden Bischof flankiert wird – gemeint ist “Modestus, Bischof von Maria Saal”.

Die Szenen auf dem Tor stellen die Christianisierung der Slowenen und ihres Staates dar. und zwar in einer Weise, wie sie aus dem Repertorium der nationalen geschichtlichen Erinnerung geläufig ist. Sie spiegeln das kollektive Bewusstsein der Slowenen über ihre Vergangenheit wider, und das erwähnte Relief bezieht sich nach dieser Auffassung auf einen der wichtigsten Ereignise der Nationalgeschichte. Ein Historiker, der die Geschichte des Alpen-Adria-Raumes etwas besser kennt, kann angesichts einer solchen Geschichtsdeutung natürlich nur den Kopf schütteln und sie als mythisch bezeichnen(2). Und das ist sie in der Tat, es ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass gerade die nationale Geschichtsauffassung im Wesen unhistorisch ist und in erster Linie eigentlich die moderne Zeit und ihre Bedürfnisse widerspiegelt. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass diese mythologische Geschichtsvorstellung existiert und als am stärksten verwurzelte und verbreitete sogar dominiert(3). Bei den Slowenen wurde das Bild der Nationalgeschichte in seinen Grundzügen schon vor über zweihundert Jahren gezeichnet, und bis heute hat sich in ihrer Auffassung praktisch nichts geändert und es wird sich auch schwerlich etwas ändern. Als Bestätigung dafür kann das erwähnte Tor der Domkirche von Ljubljana dienen, das nicht nur die alte mythologische Vorstellung von der Volksvergangenheit aufgreift. Da das Tor auch von den kommenden Generationen besichtigt werden soll, wird diese Geschichtsvorstellung damit auch schon in die Zukunft tradiert. Zugleich bestätigt dieses schon in der Zeit des selbstständigen slowenischen Staates und der damit verbundenen nationalen Euphorie entstandene Tor noch einmal die Aktualität der schon vor einiger Zeit ausgesprochenen Beobachtung von Herwig Wolfram, dass frühmittelalterliche Geschichte zur Zeitgeschichte geworden ist(4).

Die grundlegenden und im slowenischen Geschichtsbewusstsein noch immer geltenden Vorstellungen von der eigenen Geschichte entstanden in der Zeit der Herausbildung der modernen europäischen Nationen – also seit dem Ende des 18. Jahrhunderts – und zugleich in einer Zeit, in der auch die Slowenen selbst sich allmählich als Nation konstituierten. Denn die Herausbildung einer neuen, nationalen Einstellung zur Geschichte und damit die Herausbildung einer eigenen nationalen Geschichte war ein Bestandteil ihrer nationalen Ausgestaltung.

Das primäre und zentrale Element, um das sich die slowenische Identität allmählich herausbildete, war sprachlich. Das wird wohl unausweichlich gewesen sein, denn durch die Geschichte wurden die Bewohner des Raumes zwischen den Ostalpen, dem Pannonischen Ebene und dem Adriatischen Meer eher auseinander gerissen als vereint: sie lebten in drei verschiedenen Staaten und auch die im Rahmen der Habsburgermonarchie lebende Mehrheit war auf einige Länder aufgeteilt, die ihrerseits bemüht waren, ihre Individualität, die eigene Tradition und Identität nach Möglichkeit aufrecht zu erhalten(5). Ein zusätzliches negatives Element war die Tatsache, dass in diesem Gebiet kein Herrscherhaus residierte, an das eine staatspolitische Überlieferung als Ausgangspunkt für die Nationwerdung hätte anknüpfen können. In diesem politisch, kulturell, geschichtlich und in der Folge auch identitätsmäßig so stark differenzierten Raum stellte die Verwandtschaft der von den Bewohnern gesprochenen Mundarten die einzige reale Möglichkeit der Schaffung einer gemeinsamen Identität dar(6).

Die Anfänge eines artikulierten Bewusstseins von der Existenz der besonderen Sprachgruppe der Slowenen reichen in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück, die durch die slowenischen Protestanten und ihr Wirken entschieden geprägt wurde. Der bedeutendste unter ihnen – Primož Trubar (1508–1586) – ließ im Jahre 1550 in Tübingen die ersten beiden in slowenischer Sprache geschriebenen Bücher, Catechismus und Abecedarium, drucken und schuf damit die Grundlage für die slowenische Schriftsprache. Dieses Wirken erfuhr seinen Höhepunkt im Jahre 1584 mit der Veröffentlichung der gesamten Heiligen Schrift in der slowenischen Übersetzung von Jurij Dalmatin und der Veröffentlichung der ersten slowenischen Grammatik von Adam Bohorič in lateinischer Sprache. Mit diesen beiden Werken wurde die slowenische Sprache unanfechtbar als Kultursprache bestätigt und auch auf normativer Ebene kodizifiert. In der Zeit des Protestantismus wurden auch die Wörter Slowene (Slovenec) und slowenische Sprache (slovenski jezik) erstmals verwendet, die sich dann im 19. Jahrhundert zum tragenden Begriff der slowenischen Nationalidentität entwickelten; doch in der Zeit des Protestantismus waren beide Begriffe semantisch noch nicht völlig präzisiert(7). Natürlich ist die Artikulation des Bewusstseins von der Existenz einer besonderen Sprachgemeinschaft der Slowenen bei den slowenischen Protestanten nicht auf ein nationales, sondern auf das religiöse Konzept zurückzuführen, dass Gott zu seinen Gläubigen in ihrer Sprache spricht(8), aber das fiel eigentlich nicht ins Gewicht. Entscheidender war die Tatsache, dass die protestantischen Verfasser die Existenz einer auf der Sprache beruhenden, über die einzelnen Länder hinausgehenden Gemeinschaft erkannten und diese zum Rahmen ihres Wirkens machten.

Die Erkenntnis von der Existenz einer besonderen länderübergreifenden Gemeinschaft der Slowenen führte dazu, dass sich bei den slowenischen Protestanten allmählich das Bewusstsein eines neuen Patriotismus und einer neuen Heimatliebe herausbildete. Dies spiegelt sich in Trubars Worten wieder, er sei der „Freund aller Slowenen“ (prjatl vseh Slovencov), oder wenn er von seinen „lieben Slowenen“ (lubi Slovenci), von „unserem armen, einfachen, gutherzigem windischen Volk“ (naše revno, preprosto, dobrosrčno slovensko ljudstvo) spricht, oder in Dalmatins Heimatliebe, deretwegen er die ganze Heilige Schrift ins Slowenische übersetzt habe usw(9). Bohorič hat im Wunsch, die gesellschaftliche Geltung der slowenischen Sprache zu festigen, diese in einen breiteren slawischen Zusammenhang gestellt, und unter Berufung auf Alexander den Großen, Cicero, den hl. Hieronymus und Kaiser Karl IV. den Slawen eine ruhmreiche Geschichte geschaffen, auf die geographische Verbreitung der Slawen hingewiesen und anstelle der pejorativen Etymologie der Benennung Slawen aus sclavus (Sklave), eine viel affirmativere Ableitung von „slava“ (gloria) vertreten(10). Mit solchen und ähnlichen, von den slowenischen Protestanten in den slowenischen, deutschen oder lateinischen Vorreden ihrer Werke ausgedrückten Gedanken begann sich neben dem bestehenden Landespatriotismus und dem dynastisch gebundenen Patriotismus eine neue Heimatliebe herauszubilden, die noch nicht national war, aber solche Ansätze bereits enthielt.

Das von den protestantischen Verfassern hinterlassene geistige Erbe bildete eine solide Grundlage für die Arbeit, welche im Rahmen des »Volkserwachens« viel später in einer anderen Atmosphäre geleistet wurde und die in der Herausbildung des slowenischen Volkes mit eigener Sprache, Kultur und nicht zuletzt auch in der in den Grundlinien bereits herauskristallisierten Auffassung der eigenen Geschichte resultierte. Hinsichtlich von Ideen und geistig wurden die slowenischen »Volkserwecker« in erster Linie durch die Ideen der Aufklärung, aber auch der Romantik inspiriert, in vielerlei Hinsicht gingen sie dieselben Wege wie ähnliche, damals in Europa in Erscheinung tretende Kreise(11). Den ersten wichtigen Höhepunkt erlebte diese Bewegung mit einer Gruppe von Aufklärern, die sich im Salon des “reichsten Krainers”, Baron Sigismund Zois (1747–1819), versammelten. Außer Zois selbst, dem Mentor und Sponsor eines frühen slowenischen Kulturnationalismus, wurde das Wirken dieses Kreises vornehmlich von drei Persönlichkeiten geprägt. Als erster ist Anton Tomaž Linhart (1756–1795) zu erwähnen, Schulorganisator, Dramatiker und Historiker, der mit zwei Schauspielen die “Volkssprache” bühnenfähig gemacht und sie damit auf eine neue kulturelle und soziale Ebene hob(12), der aber auch und in erster Linie die Konzeption der slowenischen Nationalgeschichte festlegte. Die zweite wichtige Persönlichkeit dieses Kreises ist der etwas jüngere Dichter und Priester Valentin Vodnik (1758–1819). Für die nationale Durchsetzung waren seine Herausgebertätigkeit bei der ersten slowenischen Zeitung zwischen 1797 und 1800 und die Veröffentlichung der ersten slowenischen Gedichtsammlung sehr bedeutsam. Der dritte aus diesem Kreise war Bartholomäus (Jernej) Kopitar (1780–1844), einer der Begründer der Slawistik, der mit seiner 1808 bzw. 1809 in deutscher Sprache verfassten Grammatik der slavischen Sprache in Krain, Kärnten und Steiermark der slowenischen Sprache wissenschaftliche Relevanz verlieh und sie geographisch fest in einem breiteren Bezug verankerte. Für die Herausbildung des slowenischen Geschichtsbewusstseins nicht weniger wichtig war seine Theorie, dass Pannonien bzw. Karantanien die Heimat des Altkirchenslawischen von Konstantinos und Methodios gewesen sei(13).

Obwohl sie sich als falsch erweisen sollte, wurde durch Kopitars pannonisch-karantanische Theorie der von den slowenischen Protestanten erreichten und danach bei den aufklärerischen Nationalerweckern schon völlig gefestigten Erkenntnis über die Existenz einer besonderen slowenischen Sprachgemeinschaft eine wichtige historische Komponente und damit auch eine geschichtliche Legitimation geschaffen. Allerdings war Kopitar dabei nicht der erste, er verfolgte nur den von Linhart aufgezeigten Weg weiter und betrachtete die in der Sprache wurzelnde Gemeinschaft der Slowenen auch als geschichtliche Gemeinschaft. Damit erhielten die Slowenen einen der wichtigsten Identitätsanker, und das von Linhart angebahnte Geschichtskonzept, das in jener Zeit modern und fortschrittlich war(14), hatte weitreichende Folgen für die Herausbildung des slowenischen Geschichtsbewusstseins. Durch dieses Konzept erhielten die Slowenen eine eigene Geschichte in einer Zeit, die auch von anderen europäischen Völkern als die eigene Wiege betrachtet wurde. Dass dadurch die nationale Geschichte zurück projiziert wurde in Zeitalter, als es weder das slowenische Volk noch die Slowenen als sprachliche und ethnische Gemeinschaft gab, war Linhart und später auch anderen wohl gar nicht bewusst.

Die neue, nationale Geschichtsauffassung, die um eine Überwindung der vorher üblichen Landes- und Dynastiehistoriographie bemüht war, wurde von Linhart in seinem in deutscher Sprache geschriebenen und nicht vollendeten (nur bis zur Frankenzeit reichenden) zweibändigen Werk Versuch einer Geschichte von Krain und den übrigen Ländern der südlichen Slaven Oesterreichs (Ljubljana 1788,1791) dargelegt(15). Der überzeugte Freigeist Linhart fand Vorbilder für sein Werk in der aufgeklärten Historiographie, ganz besonders beeinflusst durch den deutschen Historiker Karl Gottlob Anton (1751–1818), der das zweibändige Werk Erste Linien eines Versuches über der alten Slawen Ursprung, Sitten, Gebräuche, Meinungen und Kenntnisse (Leipzig 1783, 1789) herausbrachte. Dieses Werk machte Linhart die Bedeutung der Sprache als Geschichtsquelle bewusst und diente ihm als Vorbild(16). Das war besonders wichtig, denn im Grunde genommen folgte Linhart der damals aufkommenden komparativ-philologischen Methode der Identifizierung von Völkern mit der Sprache. Das bedeutete mit anderen Worten, dass die Sprachgeschichte als Volksgeschichte aufgefasst wurde, was wiederum – was heute klar ist – schicksalhafte Folgen für die Rezeption der europäischen Geschichte hatte, die bloß als national fragmentiert aufgefasst wurde(17).

Von diesen methodologischen Ansätzen her und im Sinne des Zeitgeistes begriff Linhart die Geschichte genealogisch (biologisch), nach dem Modell eines Baumes, nach dem alle Völker durch die Teilung der alten Völker entstanden seien. Auf dieser Grundlage betrachtete er die Slowenen als besonderen Zweig des slawischen Stammes (18) oder mit anderen Worten als besonderes Volk, das natürlich außer von der Sprache auch durch seine besondere Geschichte bestimmt wird, nur dass diese wegen des vom Land ausgehenden Ansatzes bisher übersehen worden sei. Das Konzept der Nationalgeschichte, das in den Slowenen eine klar abgegrenzte, sich von anderen unterscheidende geschichtliche, sprachliche und kulturelle Gemeinschaft mit unzweifelhafter Kontinuität sah, war damit herausgebildet; teilweise wurde es darauf von Linhart in seinem Versuch, insbesondere in dessen zweitem Teil umgesetzt.

Bereits der Untertitel “Von der ersten Anpflanzung der krainischen Slaven bis auf ihre Unterjochung durch die Franken” kündigt hier das Volk als Gegenstand der Erörterung an. Als seine Heimat legte Linhart Karantanien fest, das nach seiner Ansicht das ganze Territorium der Slawen im Süden des Kaiserreichs an der Save, Drau und Mur bis zur Enns und Donau, in Krain, Kärnten, Steiermark und Österreich am Schnittpunkt der Julischen, Karnischen und Norischen Alpen umfasst habe(19); das heißt das gesamte Territorium, in dem die slowenische Sprache gesprochen worden war oder wo toponomastische Spuren von einer ehemals slawischen Besiedlung zeugen. Nach der Ansicht des Verfassers hätte die slawische Landnahme schon im 4. Jahrhundert begonnen, im 6. Jahrhundert seien die Slawen schon Mehrheitsbevölkerung geworden, allerdings seien sie zugleich der Oberherrschaft der Awaren, Langobarden und Franken untergeordnet gewesen, bis zur Befreiung unter der Führung Samos und der Einrichtung eines selbstständigen Staates in Karantanien mit eigenen Fürsten. Knapp vor der Mitte des 8. Jahrhunderts seien sie von den Franken unterworfen worden. An dieser Stelle endet Linharts chronologisch konzipierte Sichtung der Geschichte der Krainer-Karantanen Slawen. Allerdings geht aus dem letzten Teil seines Buches, in dem von ihrer Lebensart die Rede ist, hervor, dass mit der Unterwerfung durch die Franken der Zeitraum “unter deutschem Recht” angebrochen war, dass die freiheitsliebenden, gastfreundlichen und mutigen Krainer Slawen überwältigt und erniedrigt wurden, aber trotzdem ihre Liebe zur unterdrückten Heimat und ihre Identität beibehielten; mit einem Wort, mit der fränkisch-deutschen Herrschaft habe eine traurige Zeit der Volksgeschichte begonnen(20). Damit hat Linhart neben dem Konzept der Nationalgeschichte auch bereits die Entwicklungslinie dieser selben Geschichte vorgezeichnet(21), durch die noch heute slowenische Ansichten über die eigene Vergangenheit geprägt werden: Nach einer ruhmreichen und affirmativen Anfangszeit sei diese Geschichte von tausendjährigem Leiden unter dem Joch fremder Herrscher geprägt gewesen; trotzdem sei es den Slowenen gelungen, als Volk zu bestehen und damit ihre Lebenskraft zu beweisen(22).

Der wichtigste Unterschied zwischen der Linhartschen und späteren Perzeption der Nationalgeschichte der Slowenen liegt in der Benennung dieser ethnischen Gemeinschaft: Linhart benannte sie mit dem karantanischen (und Krainer) Namen, heute wird für sie der Name Slowenen verwendet. Die Bezeichnung von Linhart ist auf die terminologische Ungeklärtheit der Begriffe Slowenen und slowenische Sprache in seiner Zeit zurückzuführen; dasselbe gilt für die lateinische (Sclavi, lingua sclavonica/sclavica) und deutsche (Wenden, windische/wendische Sprache) Form, die für die Slowenen und die slowenische Sprache oder für die Slawen und die slawische Sprache stehen konnten. Außerdem wurde für die Slowenen und die slowenische Sprache (insbesondere in Krain, wo die Slowenen die überwältigende Mehrheit ausmachten) als Synonym auch der Begriff Krainer und krainische Sprache verwendet. Zu einer terminologischen Klärung kam es zu Beginn des 19. Jahrhunderts, als aus dem Tschechischen der Stamm slovan- für die Bezeichnung des slawischen ethnischen Kollektivnamens übernommen wurde, während der Stamm sloven- ausschließlich die Slowenen bezeichnete(23). In dieser Zeit kam auch der Begriff Slovenija (Slowenien) auf, der erst in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts allgemein üblich wurde(24). Die Linhartsche Bezeichnung konnte sich jedenfalls nicht durchsetzen, denn der karantanische Name war zwar bekannt, aber schon lange tot und konnte als Bezeichnung für eine lebende Nationalgemeinschaft nicht Fuß fassen. Der Krainer Name war zwar sehr lebendig, doch konnte er nicht einmal für die Hälfte der Slowenen gelten(25).

Linharts Konzeption der Nationalgeschichte und seine Ansichten über ihre Entwicklungsgenerallinie traten im Laufe des 19. Jahrhunderts zunehmend in den Vordergrund und nahmen in der nationalen Erinnerung, im Nationalbewusstsein Überhand. Die Entdeckung der Freisinger Denkmäler im Jahre 1807 und die pannonisch-karantanische Theorie Kopitars über den “slowenischen” Ursprung des Altkirchenslawischen rückten die vorher bis zu den Protestanten des 16. Jahrhunderts zurückreichende literarische und sprachliche Tradition um mehr als ein halbes Jahrtausend zurück, womit eine slowenische Kulturkontinuität bis zur frühesten und zugleich strahlendsten Zeit in einer ansonsten sehr düster empfundenen Nationalgeschichte hergestellt wurde. In der Zeit des Dichters France Prešeren (1800-1849) scheint das Bild einer solchen zweipoligen und zweistufigen Geschichte schon völlig vorherrschend gewesen zu sein. Im achten Sonett des Sonettkranzes (Sonetni venec, erstmals 1834 veröffentlicht), der vom Literaturhistoriker Anton Slodnjak (1899-1983) als „Trauerspiel, das slowenische Geschichte heißt” bezeichnet wurde(26), erscheint als lichte Figur nur (der slawische König) Samo; mit Pippin, dem Vater Karls des Großen, dagegen beginnen: “Joch”, “Sklawenschulter”, “Streitigkeiten der Väter”, “wütende Stürme”, “blutiger Aufstand” und “türkische Raubzüge”.

Die innerhalb dieser Koordinaten konzipierte Nationalgeschichte wurde verständlicherweise zunächst in engen Gebildetenkreisen gestaltet und verbreitete sich ins breitere Geschichtsbewusstsein erst als auch die slowenische Nationalbewegung auf die Massen überging und auch die Geschichte ihrem Zweck dienen sollte. Die ersten Kundgebungen dieses Massencharakters waren die Landtagswahlen im Jahre 1867, bei denen praktisch im ganzen Nationalgebiet die Slowenen die Mehrheit bekamen, und die Tabor-Bewegung zwischen 1868 und 1871, von der die Nationalgeschichte mit ihrem Integrations- und Identifikationspotential unmittelbar apostrophiert wurde in dem Sinne, dass nach tausendjähriger Unfreiheit endlich wieder jene alten Zeiten, als die Slowenen ein freies und eigenständiges Volk gewesen seien, wiederkehren werden(27). Mit der Tabor-Bewegung, durch die sich die Slowenen aus einer amorphen Masse allmählich zu einer politisch organisierten Menge herauszubilden begannen(28), mauserte sich die Geschichte zu einem wichtigen Mittel der politischen Agitation und Werkzeug der Nationalpolitik. Die gesellschaftliche Rolle, welche der Geschichte bei der Herausbildung der Nationalidentität zufällt, war damit im Fall der Slowenen mehr oder weniger abgerundet.

In der Zeit des Siegeszuges des Nationalismus seit dem Ende des 18. Jahrhunderts galten die Slowenen in der Donaumonarchie in den Augen der deutschen Publizistik als zweitklassiges Volk. Sie wurden zu den „geschichtslosen Völkern“ gezählt; das waren alle diejenigen, die keinen eigenen Staat gehabt hatten und als Folge davon auch keine politisch entscheidenden höheren Gesellschaftsschichten. Mit anderen Worten, die Slowenen galten als Bauernvolk. Heute kann man zwar feststellen, dass es sich auch bei dieser Ansicht im Grunde genommen um eine Projektion des (potenzierten) Zustandes aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf einen mehr als tausendjährigen Abschnitt der geschichtlichen Entwicklung handelte, doch hatte damals diese Einschätzung ganz konkrete Folgen: Sie beeinflusste die Anerkennung oder Nichtanerkennung von bestimmten Rechten von Einzelvölkern(29).

Auch von diesem Standpunkt aus war Linharts Verlängerung der Nationalgeschichte der Slowenen ins Frühmittelalter und seine Entdeckung Karantaniens für diese Geschichte außerordentlich wichtig. Sie war nicht nur ausgesprochen nationalkonstitutiv, sondern in nicht geringerem Maße auch emanzipatorisch. Denn nun konnten auch die Slowenen darauf hinweisen, dass sie doch eine eigene Geschichte haben, die ihrem Alter nach der Geschichte anderer europäischer Völker nicht nachstehe. Mehr noch: Sie konnten behaupten, dass ihre Geschichte nicht nur altehrwürdig, sondern auch ruhmreich sei.

Einerseits schöpfte diese frühmittelalterliche slowenische Glorie aus der Vorstellung, dass das slowenische Nationalgebiet im 9. Jahrhundert dreimal größer war als heute und dass es im Norden bis zur Donau zwischen Wien und Linz und noch weiter gereicht habe. Diese eigentlich bereits vom Linhart geprägte(30) und dann zwischen den beiden Weltkriegen vom damals führenden slowenischen Mediävisten Milko Kos entwickelte Vorstellung hat sich in der Form seiner sozusagen “volkstümlich” gewordenen Karte bis heute erhalten(31). Sie wurde bis vor kurzem kaum problematisiert und nicht an den ihr zukommenden Platz verwiesen: nämlich in die Rumpelkammer der historischen Mythen(32). Die Slawen haben zwar im Frühmittelalter einen großen Teil des heutigen Österreichs besiedelt(33), doch wurden sie von der slowenischen Geschichtsschreibung zu Slowenen gemacht. Das war ein Axiom, für das es nicht einmal in einer Zeit, als es schon völlig klar geworden war, dass Sprachen und Nationen völlig unterschiedliche Dinge sind, einen Versuch der Begründung gegeben hat, d.h. der Beantwortung der Frage, aufgrund welcher Argumente die Donauslawen – auf die letztendlich in derselben Art der national aufgefassten Geschichte auch die Slowaken Anspruch erheben – als Slowenen identifiziert wurden bzw. ihr Siedlungsraum als slowenisches ethnisches Territorium erkannt wurde(34).

In noch höherem Maße bezog sich andererseits die Vorstellung von der ruhmreichen Geschichte der Slowenen im Mittelalter auf Karantanien. Aufgrund der Conversio Bagoariorum et Carantanorum, in der von den Karantanen als slawischem Stamm die Rede ist(35), fiel es nicht schwer, den Bezug zu den Slowenen herzustellen. Ein anderes, eigentlich nicht weniger gewichtiges, deswegen aber symbolisch noch viel wichtigeres Element, das eine Verbindung zwischen Slowenen und Karantanen herstellte, war die Einsetzung der Kärntner Herzöge bzw. der Karantanenfürsten. Die Zeremonie ist in Einzelheiten aus einigen Beschreibungen aus dem Spätmittelalter bekannt, aus denen hervorgeht, dass sie in „slowenischer“ Sprache stattfand(36). Eine zusätzliche Identifizierung mit den Slowenen stellte neben der Sprache die Tatsache dar, dass der Einsetzer Bauer war – und das war bereits in den slowenischen Geschichtsauffassungen des 19. Jahrhunderts sozusagen ein Synonym für den Slowenen(37). Die Kärntner Herzogseinsetzungszeremonie, mit der auf Symbolebene die Herrschaft an den neuen Herzog übergeben wurde und die schon von der älteren Kärntner Historiographie von Johannes von Viktring, Jakob Unrest, Philipp Paracelsus und Michael Gothard Christalnick bzw. Hieronymus Megiser mit Karantanien in Verbindung gebracht wurde, verkörperte so nicht nur die Staatlichkeit der Karantanen im Frühmittelalter, sondern wurde auch als Ausdruck der Staatlichkeit der Slowenen aufgefasst.

Doch an die Einsetzungszeremonie knüpfte noch eine andere, für das slowenische Selbstverständnis im 19. und 20. Jahrhundert wichtige Vorstellung an: jene vom demokratischen Charakter der Gesellschaftsordnung innerhalb des eigenen, freien karantanischen Staates. Nach den radikalsten und nicht einmal so sehr alten Vorstellungen habe Karantanien gar als “demokratische Republik” funktioniert mit einer „bäuerlichen Aristokratie“, einem Fürsten und einer Art “Parlament”, der Versammlung der Edlinger (Kosezi)(38). Übrigens macht sich die Vorstellung über den demokratischen Charakter der slowenisch-karantanischen Gesellschaft schon bei Linhart bemerkbar(39). Hier ist sie einerseits aus den allgemeinen Vorstellungen vom Leben der Altslawen erwachsen, die sehr stark von Johann Gottfried Herder geprägt wurden (40), und andererseits von der Einmaligkeit und Ungewöhnlichkeit der Herzogseinsetzungszeremonie im späten Mittelalter. Insbesondere die Tatsache, dass ein gewöhnlicher Bauer die Herrschaft symbolisch an den Herzog übergab, war Aufsehen erregend, denn sie stand in krassem Gegensatz zu den Bräuchen, Auffassungen und der Mentalität der spätmittelalterlichen Welt. Wegen dieses im Grunde genommen archaischen Gepräges der Zeremonie schrieb der Humanist Aeneas Silvius Piccolomini (1405-1464) – der spätere Papst Pius II. – schon bald nach der Mitte des 15. Jahrhunderts, bei der Zeremonie handle es sich um einen „Festbrauch, der nirgends seinesgleichen hat«(41). Mit Jean Bodin und seinem Werk Les six livres de la Republique (1576) geriet die Einsetzung in die so genannte “Vertragstheorie” über die Entstehung des Staates und diente als Beispiel für eine vertragliche Übertragung der Souveränität vom Volk auf den Monarchen. Der Passus über die Herzogseinsetzung in diesem Werk Bodins wurde Ende der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts wieder sehr aktuell, als der amerikanische Slowene Joseph Felicijan entdeckte, dass sich der amerikanische Präsident Thomas Jefferson (1743-1826) in seinem Exemplar des Buches von Bodin unter anderem auch die Stelle anstrich, an der von der Kärntner Herzogseinsetzung die Rede ist. Auf dieser Grundlage formulierte Felicijan den Gedanken, dass zu den Quellen für die berühmte amerikanische Declaration of Independence aus dem Jahre 1776, in deren erstem Teil Jefferson die Gleichheit der Menschen und die Unantastbarkeit von Grundrechten formulierte, auch die Kärnten Herzogseinsetzung zu zählen sei(42). Die Entdeckung Felicijans, die zwar höchst interessant ist für die Frage, wie weit die Kenntnis der Einsetzung gereicht hat, aber keineswegs als Grundlage für die Behauptung dienen kann, dass die Formulierung der Deklaration durch die Einsetzung beeinflusst worden wäre(43), hat dem Mythos vom demokratischen Charakter der karantanischen bzw. altslowenischen Staatsverfassung neuen Auftrieb gegeben. Den Höhepunkt erreichte diese mythologisch-euphorische Geschichtsauffassung anlässlich des Besuches des amerikanischen Staatspräsidenten Bill Clinton in Slowenien im Jahre 1999, als man unter anderem auch lesen konnte, „die Geschichte der amerikanischen Demokratie habe in Karantanien begonnen, dem ersten slowenischen Staat aus dem 7. Jahrhundert“(44). Das letzte i-Tüpfelchen ist die kürzliche Erklärung des (neuen) slowenischen Schulministers, zu den unberechtigterweise übergangenen Elementen der slowenischen Geschichte, welche den Kindern in der Schule „bei der Herausbildung einer Nationalidentität helfen könnten“, gehöre auch die „Bedeutung des Karantaneneides für die Entwicklung der westlichen Demokratien“(45). Diese Aussage zeigt in der besten – oder schlechtesten – Art und Weise, dass wir zu Beginn des 21. Jahrhunderts hinsichtlich der Geschichtsbetrachtung nicht wesentlich weiter gekommen sind als zu Beginn des 19. Jahrhunderts.

In den Vorstellungen der Slowenen von ihrer eigenen Geschichte haben sich also mit Karantanien Begriffe wie Freiheit, Staat und Demokratie verbunden, die natürlich ins eiserne Repertoire jeder nationalen Idee und Bewegung gehören. Deshalb darf nicht verwundern, dass Karantanien im Prozess der Nationwerdung der Slowenen als Wiege der slowenischen Nation identifiziert und begriffen wurde. Und damit wurde auch Kärnten, das sonst am Rande des slowenischen ethnischen Territoriums liegt, ins Zentrum des Slowenentums gerückt. Das Ergebnis der Kärntner Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 löste deshalb südlich der Karawanken große Enttäuschung aus. Das erste und zugleich bedeutendste politische Programm der Slowenen, das Programm des Vereinten Slowenien, das mit der Forderung nach der Vereinigung aller Slowenen innerhalb einheitlicher politischer Grenzen im Revolutionsjahr 1848 formuliert wurde und dessen Verwirklichung nach dem Zerfall der Monarchie 1918 greifbar nahe schien, wurde nun plötzlich unerreichbar, um so mehr, als fast gleichzeitig der Friedensvertrag zwischen dem Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen und Italien in Rapallo Italien den Großteil des westlichen slowenischen ethnischen Territoriums überließ. Die Verbitterung über den Verlust der Wiege des Slowenentums in Kärnten, die nun durch eine neue Staatsgrenze vom „Mutterland“ getrennt wurde, kam wohl in der Belletristik am stärksten zum Ausdruck. Das Zollfeld wurde als slowenisches Amselfeld,empfunden und wurde zur “dankbaren Metapher, um die kollektive Frustration des Volkes auszudrücken” (46).

Trotz dieser für die Slowenen ungünstigen geschichtlichen Realität hat Karantanien weder nach dem Ersten noch nach dem Zweiten Weltkrieg seine Bedeutung für das geschichtliche Selbstverständnis der Slowenen eingebüßt. Mehr noch, die slowenische Geschichtsschreibung zwischen den beiden Weltkriegen und in noch höherem Maße nach 1945 verharrte nicht nur bei den alten nationalisierten Deutungen der frühmittelalterlichen Geschichte, sondern trieb das Thema auf die Spitze, was die geschichtlichen Volksmythen generierte. Dass es sich dabei (auch) um ein völlig bewusstes Vorgehen handelte, belegt schon der Titel der umfangreichsten Monographie zur karantanischen Geschichte in slowenischer Sprache. Es handelt sich um das 1952 erschienene Buch des führenden slowenischen Nachkriegsmediävisten Bogo Grafenauer (1916-1995), dessen slowenischer Titel Die Einsetzung der Kärntner Herzöge und der Staat der Karantanenslowenen lautet, der Titel der umfangreichen deutschen Zusammenfassung dagegen Die Einsetzung der Kärntner Herzöge und der Staat der Karantanenslawen(47)! Da Grafenauer ein viel zu guter Historiker war, um sich nicht der semantischen Differenz zwischen den Begriffen Slowenen und Slawen bewusst zu sein, kann dieser doppelte Titel nur so verstanden werden, dass es ihm für den “internen Gebrauch” und den slowenischen Leser notwendig erschien, beim nationalkonstitutiven Mythos zu bleiben(48).

Man war also auf jeden Fall bemüht, eine unmittelbare Kontinuität zwischen dem frühmittelalterlichen Karantanien und den Karantanen einerseits und dem modernen Slowenien und den Slowenen andererseits nachzuweisen. Auf wie schwachen Füßen eine solche Konstruktion steht, belegt allerdings schon die Tatsache, dass es zwischen den Karantanen und den Slowenen nicht einmal eine Kontinuität des Namens gibt! Und wenn man etwas weiter ausholt, sieht man, dass man eine Kontinuität der karantanischen Tradition nur in Kärnten verfolgen kann, das auch den karantanischen Namen übernommen hat. Natürlich hat dieser unter neuen Umständen seinen ethnischen Zusammenhang eingebüßt und mutierte zum Landesnamen. Auch wurde südlich der Karawanken – im Gegensatz zu Kärnten – die geschichtliche Erinnerung an Karantanien nicht kontinuierlich aufrechterhalten. Diese Tradition wurde vielmehr, wie erwähnt, erst von Linhart entdeckt und rückwirkend hergestellt. Umgekehrt wurde in Kärnten die karantanische Geschichte schon bei Johann von Viktring(49) im 14., bei Jakob Unrest (50) im 15. und bei Philipp Paracelsus (51) im 16. Jahrhundert als Teil der Landesgeschichte aufgefasst, um von Michael Gothard Christalnick bzw. Hieronymus Megiser (52) um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert überhaupt nicht zu reden.

Am augenfälligsten aber dürfte die unmittelbare Bindung Kärntens an die karantanische Tradition in der Kärntner Herzogseinsetzung zum Ausdruck kommen. Die Anfänge der Zeremonie am Fürstenstein können an die Zeit der karantanischen Selbstständigkeit im 7. und 8. Jahrhundert angeknüpft werden. Das ist zwar nicht nachweisbar, aber für diese Ansicht gibt es keine bessere Alternative. Ebenfalls ist die Annahme logisch, dass die Teilnehmer dieser Zeremonie nur die Angehörigen der Karantanengemeinschaft gewesen sein können; das heißt diejenigen. die unter die Herrschaft des Karantanenfürsten fielen. Diese Herrschaft erstreckte sich jedoch nie auf den Raum südlich der Karawanken(53). Später wurde der Fürstenstein zum Herrschaftssymbol des Herzogtums und Landes Kärnten, dessen Wappen im Spätmittelalter auch auf dieses Denkmal eingemeißelt wurde. Mit dem Fürstenstein wurde die Herrschaftsübergabe verbunden, die sich allerdings ausschließlich auf das Herzogtum Kärnten bezog. Auch in jener Zeit hatte der Fürstenstein keinen allslowenischen Bezug, der auch Krain oder die (Unter)Steiermark einbezogen hätte(54). Auch nachdem die Zeremonie seit 1414 nicht mehr stattfand, lebte die Erinnerung daran ausschließlich in Kärnten weiter und avancierte sogar zu einem der bedeutendsten Elemente des Landesbewusstseins und zum Stolz des Kärntner Adels und der Landstände. Diese wiesen im 16. Jahrhundert darauf hin, Kärnten sei ein “windisches Erzherzogtum”, es gehe auf eine fremde und nicht deutsche Nation zurück. Damit war gemeint, dass Kärnten im Vergleich zu anderen habsburgischen Erbländern eine Besonderheit darstelle, die in der unmittelbaren Kontinuität mit dem slawischen Karantanien verankert sei(55). Erst mit dem Aufkommen des Absolutismus und der damit einhergehenden Marginalisierung der Landstände verlosch allmählich auch die Erinnerung an die Zeremonie selbst, so dass der Fürstenstein sogar in den Privatbesitz eines Bauern geriet und im Jahre 1862 vom Geschichtsverein für Kärnten angekauft und nach Klagenfurt gebracht wurde, wo er sich noch heute im Kärntner Landesmuseum befindet.

Aufgrund des Gesagten muss man eindeutig feststellen, das geschichtlich gesehen der Fürstenstein ein ausschließlich kärntnerisches Denkmal ist und deshalb nur für die Kärntner Vergangenheit als Symbol stehen kann. Andererseits zeigen zahlreiche zeitgenössische Abbildungen des Fürstensteins an verschiedenen Stellen, die vom erwähnten Westtor des Domes von Ljubljana bis zu den berüchtigten Übergangsbanknoten des neu eingerichteten slowenischen Staates reichen, dass die Slowenen den Fürstenstein als Grundsymbol der eigenen Geschichte betrachten(56). Die Gründe für diese Nationalisierung des Kärntner Landessymbols wurden oben dargelegt. Sie sind mit der Vorstellung verbunden, dass die Anfänge der Nationalgeschichte der Slowenen in karantanische Zeit zurückgehen. Ein Konglomerat aller dieser Vorstellungen ist im Begriff karantanischer Mythos subsumiert, dem stärksten nationalkonstitutiven Mythos bei den Slowenen. Und folglich ist der Fürstenstein, der die einstige Glorie der Slowenen – die es in Wirklichkeit nie gegeben hat – verkörpert, das stärkste Symbol der slowenischen Geschichte.

Doch obwohl die Geschichte der Slowenen nicht eine unmittelbare und lineare Fortführung der Geschichte der Karantanen ist, und obwohl Hans-Dietrich Kahl mit seiner Feststellung, gerade durch die »Enthauptung« der karantanischen Ethnogenese Anfang des 9. Jahrhunderts könne es möglich geworden sein, dass sich in einer anderen Zeit und in anderem Zusammenhang in einer neuen Ethnogenese die slowenische Identität herausgebildet habe(57), recht haben kann, spielte die karantanische Geschichte doch eine sehr wichtige und konstituierende Rolle im Prozess der Nationwerdung der Slowenen: Die in das Frühmittelalter projizierte Nationalgeschichte wurde zu einer der Achsen der Identität der Slowenen und zum fundamentalen Bestandteil des nationalen Imaginariums. Innerhalb dieses Imaginariums fiel Karantanien, das als der erste eigene Staat und ein Lichtpunkt der meist mit negativen Attributen besetzten eigenen Vergangenheit betrachtet wurde, ein besonders hoher Stellenwert zu. In diesem Sinne hatte demnach Karantanien eine wichtige Rolle in der Ethnogenese der Slowenen; nicht als realer, sondern als imaginärer Ausgangspunkt des slowenischen Volkes und nicht im Frühmittelalter, sondern seit der Zeit der Aufklärung und der Romantik. Es bleibt die Frage offen, ob eine moderne und in jeder Hinsicht konstituierte und international legitimierte Nation noch solche Mythen braucht, die ihre Rolle schon zu Ende gespielt und nun eigentlich jede Funktion eingebüßt haben. Die Antwort kann wahrscheinlich nur negativ sein.

(1) Auf dieses Relief hat vom geschichtlich-mythologischen Standpunkt aus Hans-Dietrich Kahl, Slowenen und Karantanen. Ein europäisches Identitätsproblem, in: Rajko Bratož (Hg.), Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze/Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese 2 (Situla 39 – Razprave SAZU I/18, Ljubljana 2000) 978 ff. hingewiesen.

(2) Kurz geschildert geht es darum, dass der Großteil des slowenischen Gebietes von Aquileia aus christianisiert worden ist und nicht von Salzburg aus, dass das Fürstentum der Karantanen nicht als slowenischer Staat betrachtet und die Karantanen nicht mit den Slowenen gleichgesetzt werden können, sie können nicht einmal zu Vorfahren der Slowenen erklärt, sondern höchstens als einer der Vorfahren der Slowenen betrachtet werden und dass der Fürstenstein – wie in der Folge noch eingehend dargelegt werden soll – keineswegs ein Symbol der slowenischen Staatlichkeit ist, sondern vielmehr ein Symbol der Herrschaft in Karantanien und später im Herzogtum Kärnten.

(3) Über dieses allgemeine Problem bzw. Phänomen der vornehmlich auf mythologischer Ebene aufgefassten Vergangenheit vgl. František Graus, Die Ohnmacht der Wissenschaft gegenüber Geschichtsmythen, in: ders., Ausgewählte Aufsätze (1959-1989) (Hans-Jörg Gilomen, Peter Moraw und Rainer C. Schwinges (Hg.), Vorträge und Forschungen 55, Stuttgart 2002) 49 ff.

(4) Zitiert nach Walter Pohl, Tradition, Ethnogenese und literarische Gestaltung: eine Zwischenbilanz, in: Karl Brunner und Brigitte Merta (Hg.), Ethnogenese und Überlieferung. Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 31, Wien-München 1994) 9.

(5) Vgl. z. B. Ernst Bruckmüller, Nation Österreich. Sozialhistorische Aspekte ihrer Entwicklung (Wien-Köln-Graz 1984) 44 ff.

(6) Igor Grdina, »Nacionalizacija« Slovencev in njen evropski kontekst, in: ders., Od Brižinskih spomenikov do razsvetljenstva (Maribor 1999) 228.

(7) Vgl. France Kidrič, Zgodovina slovenskega slovstva od začetkov do Zoisove smrti (Ljubljana 1938) 90 ff. Vgl. auch unten Anm. 23.

(8) Die Grundlage dieses Ansatzes, der von Bohorič schon auf dem Titelblatt und noch klarer am Anfang der Vorrede seiner Grammatik (Adam Bohorizh, Arcticae horulae succisivae/Zimske proste urice (Maribor 1987) 1, 4), betont wird, ist der Römerbrief des hl. Paulus (Rom 14, 11: Omnis lingua confitebitur Deo), auf den sich in seiner deutschen Vorrede zur slowenischen Übersetzung der Heiligen Schrift auch Jurij Dalmatin beruft (Jože Rajhman, Pisma slovenskih protestantov (Korespondence pomembnih Slovencev 11, Ljubljana 1997) 281).

(9) Vgl. Kidrič, Zgodovina (wie Anm. 7) 90; Janez Rotar, Narodnokonstitutivni pojmi začetnih obdobij slovenske narodne integracije, in: 28. seminar slovenskega jezika, literature in kulture. Zbornik predavanj (Ljubljana 1992) 129.

(10) Bohorizh, Arcticae horulae (wie Anm. 8) 3 ff. (Vorrede); vgl. auch Jasna Honzak Jahić, Idejne prvine Bohoričeve slovnice – konstitutivne prvine slovenske razsvetljenske misli, in: Matija Majar Ziljski v česko-slovinském kontextu. Minulost přítomnost a bodoucnost vzájemných kulturních styků/Matija Majar Ziljski v češko-slovenskem kontekstu. Preteklost, sodobnost in prihodnost medsebojnih kulturnih stikov (Praha 2004) 111 ff.

(11) Vgl. Miroslav Hroch, Social Preconditions of National Revival in Europe. A Comparative Analysis of the Social Composition of Patriotic Groups among the Smaller European Nations (Cambridge 1985) 22 ff. Hroch gliedert die Geschichte der Nationalbewegungen in drei Phasen. Die erste Phase war kulturell, literarisch und volkskundlich und besass keinerlei besondere politische Implikationen, sie war außerdem auf einen relativ engen Kreis von Gebildeten beschränkt (in diese Phase gehören auch die in diesem Artikel apostrophierten slowenischen Aufklärer); in der zweiten Phase trat die nationale Idee, für die eine Agitation und politische Kampagne beginnt, ganz klar in den Vordergrund; in der dritten Phase erlangten die nationalen Programme massive Unterstützung. Das Dreiphasenmodell von Hroch wurde im slowenischen Zusammenhang von Walter Lukan, Zur nationalen Frage eines kleinen Volkes. Edvard Kardeljs Darstellung zur Entwicklung der nationalen Frage bei den Slovenen, in: Österreichische Osthefte 16 (1974) 34 ff. thematisiert und festgelegt..

(12) Peter Vodopivec, Nekaj opozoril na vzporednice in razlike v narodnem oblikovanju Slovencev in Bretoncev, in: Dušan Nećak (Hg.), Avstrija – Jugoslavija – Slovenija. Slovenska narodna identiteta skozi čas (Ljubljana 1997) 66.

(13) Vgl. Jože Pogačnik, Jernej Kopitar in nastanek karantansko-panonske teorije, in: Godišnjak Filozofskog fakulteta u Novom Sadu 13/1 (1970) 421 ff.

(14) Vgl. Fran Zwitter, Anton Tomaž Linhart in njegovo zgodovinsko delo, in: Naša sodobnost 5/1 (1957) 9 ff.

(15) Das erste Buch erschien unter dem ein wenig anachronistischen Titel Versuch einer Geschichte von Krain und der übrigen südlichen Slaven Oesterreichs, der jedoch im zweiten Buch sinngemäß zu Versuch einer Geschichte von Krain und den übrigen Ländern der südlichen Slaven Oesterreichs korrigiert worden ist.

(16) So schreibt Linhart in der Vorrede zum zweiten Buch des „Versuchs“ (wie Anm. 15): »Wie vielen Dank ich dem Herrn Karl Gottlob Anton in Görliz schuldig bin, der mir in der Sprache eine reiche Quelle historischer Wahrheit zuerst entdekken half, … liefert die gegenwärtige Schrift ein aufrichtiges Denkmal.«. In seinem Schreiben an Anton vom 2. Mai 1789 heißt es: »Sprache habe ich nie als Endzwek behandelt, sondern nur als Hilfsmittel zur Geschichte.« (Alfonz Gspan, Pisma A. T. Linharta gornjelužiškemu preporoditelju dr. Karlu Gottlobu Antonu, in: Dokumenti Slovenskega gledališkega muzeja 8-9 (1966) 138). Im Schreiben an Martin Kuralt vom 18. August 1784 heißt es dagegen, dass Anton in seinem Werk »die Sprache der Slawen durch Vergleichung ihrer verschiedene Dialekte zu einer Geschichtsquelle erhebt. Ich werde ihn nachahmen.« (Anton Tomaž Linhart, Zbrano delo 1 (Hg. Alfonz Gspan, Ljubljana 1950) 292. Vgl. auch Kidrič, Zgodovina (wie Anm. 7) 233).

(17) Zur Bedeutung der Philologie für den Nationalismus vgl. Patrick J. Geary, Europäische Völker im frühen Mittelalter. Zur Legende vom Werden der Nationen (Frankfurt am Main 2002) 35 ff.

(18) So im Inserat in der Laibacher Zeitung am 17. 8. 1786, mit der die Erscheinung seines »Versuchs« angekündigt wird. Vgl. Linhart, Zbrano delo (wie Anm. 16) 562-563.

(19) Linhart, Versuch 2 (wie Anm. 15) 134 ff. Vgl. auch Linharts Landkarte von Karantanien in der Beilage.

(20) Linhart, Versuch 2 (wie Anm. 15) 180 ff.

(21) Kurz, aber möglicherweise umso klarer hat er sie bereits in der Vorrede des zweiten Buches zusammengefasst (Linhart, Versuch 2 (wie Anm. 15) Vorrede). Er war mit Gebhardi, der in seine Übersicht der slawischen Staaten die Slawen von Innerösterreich nicht einbezogen habe, sehr unzufrieden und betonte, »daß sie [i.e. Slaven in Innerösterreich] einen beträchtlichen Stamm ausmachen, der seine Unabhängigkeit unter eigenen Vojvoden wieder die mächtigen Langobarden, Avaren, und Franken bis auf Karl den Grossen vertheidigte, dann zwar dem Lehensysteme der Franken sich unterwarf, aber die karakteristischen Züge der alten wendischen Verfassung noch unter demselben hell durchschimmern läßt, und Sprache und Sitten, die unterschiedenden Zeichen einer Nation, in origineller Form erhalten hat.«

(22) Zum sogennanten Knechtsschaftsmythos siehe Sergij Vilfan, Zgodovinska pravotvornost in Slovenci (Pravna obzorja 5, Ljubljana 1996) 44 ff.

(23) Vgl. Kidrič, Zgodovina (wie Anm. 7) s. v. Slovenec; Peter Štih, Slovenci: Ime, in: Enciklopedija Slovenije 11 (Ljubljana 1997) 165 ff. (und die dort zitierte Literatur).

(24) Vasilij Melik, Problemi v razvoju slovenske narodne identitete (do 1941), in: Dušan Nećak (Hg.), Avstrija – Jugoslavija – Slovenija. Slovenska narodna identiteta skozi čas (Ljubljana 1997) 44.

(25) Fran Zwitter, Linhartova doba, misel in delo, in: Anton Linhart, Poskus zgodovine Kranjske in ostalih dežel južnih Slovanov Avstrije 1 in 2 (Ljubljana 1981) 348 ff. (Nachdruck in: Fran Zwitter, O slovenskem narodnem vprrašanju (Ljubljana 1990) 73 ff.).

(26) Poezija doktorja Franceta Prešerna. Uvod in razlage napisal Anton Slodnjak (Ljubljana 1946) 235. Einige weitere Beispiele der Auffassung der slowenischen Geschichte bei Autoren des 19. und 20. Jhs. vgl. bei: Vasilij Melik, Pomen zgodnjesrednjeveških etnogenez za nastanek moderne slovenske nacionalne identitete, in: Rajko Bratož (Hg.), Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze/Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese 1 (Situla 39 – Razprave SAZU I/18, Ljubljana 2000) 17 ff.; Vilfan, Zgodovinska pravotvornost (wie Anm. 22) 44 ff.

(27) Vasilij Melik, Tabori 1868-1871, in: ders, Slovenci 1848-1918. Razprave in članki (Maribor 2002) 375.

(28) Igor Grdina, Slovenci med tradicijo in perspektivo. Politični mozaik 1860-1918 (Ljubljana 2003) 37.

(29) Vilfan, Zgodovinska pravotvornost (wie Anm. 22) 40 ff.

(30) Mit der Feststellung, Karantanien habe alle Slawen von Innerösterreich und darüberhinaus umfaßt (vgl. Anm. 19).

(31) Meines Wissens wurde diese Landkarte im Jahre 1933 in Milko Kos, Zgodovina Slovencev od naselitve do reformacije (Ljubljana 1933) 35 erstmals veröffentlicht. Es ist dabei sehr aussagekräftig, dass in der Legende zur Karte von Slowenen im 9. Jahrhundert und vom heutigen jugoslawischen ethnischen Gebiet (sic!) die Rede ist und dass die Grenze zwischen den Kroaten und Slowenen an der Kolpa und Sotla nicht eingezeichnet ist, dass vielmehr alles als einheitliches ethnisches Gebiet präsentiert ist. Beides ist wohl als eine Folge der Tatsache zu verstehen, dass das Buch in der Zeit der sog. Diktatur vom 6. Januar und des jugoslawischen Unitarismus erschienen ist. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg bekam die Karte ein uns eher vertrautes Äußeres, und anstatt vom jugoslawischen ethnischen Gebiet war nun in der Legende vom heutigen slowenischen ethnischen Gebiet die Rede; eingezeichnet ist natürlich auch die slowenisch-kroatische Grenze. Eine bessere Veranschaulichung für das Manipulationspotential von Geschichtsvorstellungen, die im Nationalbewusstsein als geschichtliche Wahrheiten figurieren, könnte man sich kaum vorstellen.

(32) Vgl. Peter Štih, Die slowenischen Vorstellungen über die slowenisch-deutschen Beziehungen im Mittelalter, in: Harald Heppner (Hg.), Slowenen und Deutsche im gemeinsamen Raum. Neue Forschungen zu einem komplexen Thema (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission, München 2002) 8, 12 ff.

(33) Vgl. Otto Kronsteiner, Die Slawen in Österreich. Karten mit Kommentar, in: Die slawischen Sprachen 55 (1997) Landkarte Nr. 2.

(34) Die einzige Ausnahme bildet Sergij Vilfan, Rechtsgeschichte der Slowenen bis zum Jahre 1941 (Grazer Rechts- und Staatswissenschaftliche Studien 21, Graz 1968) 35 und Anm. 3, der zwar zugibt, dass es sich um eine anachronistische Behauptung handelt, aber diese zugleich mit der Begründung verteidigt, dass diese Slawen im 8. und 9. Jahrhundert in ähnlichen Verhältnissen gelebt haben wie die Slawen des heute slowenischen Gebietes. Doch können Lebensumstände keineswegs als Argument für die ethnische Zugehörigkeit herhalten, denn diese hängt nicht von den Lebensumständen ab. In denselben Lebensumständen können verschiedene ethnische Gemeinschaften leben und umgekehrt – in sehr unterschiedlichen Lebensumständen kann eine und dieselbe ethnische Gemeinschaft leben.

(35) Conversio Bagoariorum et Carantanorum (Hg. Fritz Lošek, Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief des Erzbischofs Theothmar von Salzburg, MGH Studien und Texte 15, Hannover 1997) c. 3: Sclavi qui dicuntur Quarantani.

(36) Vgl. Bogo Grafenauer, Ustoličevanje koroških vojvod in država karantanskih Slovencev (Dela SAZU I/7, Ljubljana 1952) 78 ff.

(37) Vgl. Sergij Vilfan, Slovenci – kmečki narod?, in: 29. seminar slovenskega jezika, literature in kulture (Ljubljana 1993) 229 ff.

(38) So Paola Korošec, Alpski Slovani (Ljubljana 1990) S. 22. Das ist ein klassisches Beispiel der Übertragung von modernen Begriffen und Vorstellungen in die ferne Vergangenheit. Ähnlich idealisiert und ohne jede Grundlage in den Quellen wird die Gesellschaftsordnung in Karantanien auch von Joško Šavli, Slovenska država Karantanija (Koper-Dunaj-Ljubljana 1990) 87 ff. ausgelegt, der als die höchste Verwaltungs- und Gerichtseinrichtung die »veča« (Taiding) betrachtet, an der »jeder freie Mann, ob er nun reich oder arm, Bauer oder Würdenträger war, teilnehmen konnte (später auf S. 98 heisst es dagegen, dass die »veča« eine Delegierteneinrichtung gewesen sei) /…/ die »veča« habe aber den Fürsten nicht nur gewählt, sondern habe mit ihm auch eine Vereinbarung getroffen, durch welche die übertriebene Macht des Herrschers eingeschränkt wurde.« Über die Problematik der »veča«, die allerdings bei den Karantanen nicht ausdrücklich belegt ist, sondern nur vermutet wird, vgl. zuletzt Hans-Dietrich Kahl, Der Staat der Karantanen. Fakten, Thesen und Fragen zu einer frühen slawischen Machtbildung im Ostalpenraum (7.-9- Jh.) (als Supplementum zu Rajko Bratož (Hg.), Slovenija in sosednje dežele med antiko in karolinško dobo. Začetki slovenske etnogeneze/Slowenien und die Nachbarländer zwischen Antike und karolingischer Epoche. Anfänge der slowenischen Ethnogenese (Situla 39 supplementum – Razprave SAZU I/20, Ljubljana 2002) 162 ff. Zu den „bedingten Formen der parlamentarischen Entscheidungsfindung“ wird die Einsetzung zuletzt von Alja Brglez, Zgodovina/sledovi političnih predstavniških teles v najzgodnejši dobi slovenske zgodovine, in: Barbara Vogrinec (Red.), Analiza razvoja slovenskega parlamentarizma (Zbiralnik 8, Ljubljana 2005) 50 ff. gezählt.

(39) Linhart, Versuch 2 (wie Anm. 15) 224 ff.: Die königliche Herrschaftsform hat sich bei ihnen nie durchgesetzt /…/ Ihre Herrschaft beruhte auf vereintem Willen des Volkes. Die Herzöge der Karantanen nahmen ihre Würde von ein Bauern entgegen /…/ und schworen ihm, dass sie dem Volk dienen, die Freiheit, die Gerechtigkeit und die Armen beschützen werden.

(40) Johann Gottfried v. Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 4. Theil, in: Herder’s Werke, 12. Teil (Hg. H. Düntzer, Berlin, s. d.) 21 ff. Zur Rezeption dieses berühmten Textes bei den Slowenen s. Vilfan, Zgodovinska pravotvornost (wie Anm. 22) 45 ff.

(41) Vgl. bei Grafenauer, Ustoličevanje (wie Anm. 36) 129.

(42) Joseph Felicijan, The Genesis of the Contractual Theory and the Installation of the Dukes of Carinthia (Klagenfurt 1967) 1 ff.

(43) Zurückweisend schon Bogo Grafenauer in seiner Besprechung: Ustoličevanje koroških vojvod in vojvodski prestol, in: Zgodovinski časopis 24 (1970) 112 ff.

(44) Vgl. http://www.uvi.si/clinton/slo/c1_gl_j.html.

(45) Milan Zver, Nimamo ne neumnih otrok ne slabih šol. Interview in: Dnevnik 26. 2. 2005, 30 (Beilage Zelena pika).

(46) Igor Grdina, Der karantanische Mythos in der slovenischen Kultur, in: Andreas Moritsch (Hg.), Karantanien – Ostarrichi. 1001 Mythos (Unbegrenzte Geschichte – Zgodovina brez meja 5, Klagenfurt/Celovec-Ljubljana- Wien 1997) 105.

(47) Grafenauer, Ustoličevanje (wie Anm. 36).

(48) Vgl. Grdina, Karantanischer Mythos (wie Anm. 46) 97.

(49) Iohannis Abbatis Victoriensis Liber certarum historiarum (Hg. Fedor Schneider, MGH Scriptores reum Germanicarum in usum scholarum separatim editi 35, 1-2, Hannover—Leipzig 1909-1910).

(50) Iacobi Unresti Chronicon Carinthiacum (Hg. Simon-Friderich Hahn, Collectio monumentorum veterum et recentium ineditorum 1, Braunschweig 1724).

(51) Theoprast von Hohenheim, genannt Paracelsus, Chronica und Ursprung dieses Lands Kärnten, in: Gotbert Moro, Die Kärnten Chronick des Paracelsus (Kärntner Museumsschriften 5, Klagenfurt 1955) 24 ff.

(52) Hieronymus Megiser, Annales Carinthiae. Chronica des Loeblichen Ertzhertzogthumbs Khaerndten (Leipzig 1612). Der ungenannte Verfasser des Werkes war größtenteils Michael Gothard Christalnick, vgl. Karl Grossmann, Megiser, Christalnick und die Annales Carinthiae, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 57 (1949) 359 ff.; Wilhelm Neumann, Michael Gothard Christalnick, Kärntens Beitrag zur Geschichtschreibung des Humanismus (Kärntner Museumsschriften 13, Klagenfurt 1956).

(53) Zur Problematik des Umfangs von Karantanien vgl. zuletzt Peter Štih, Glose k novi monografiji o Karantaniji, in: Zgodovinski časopis 58 (2004) 483 ff. (mit Literaturnachweis).

(54) Kahl, Slowenen und Karantanen (wie Anm. 1) 989.

(55) Vgl. Wilhelm Neumann, Wirklichkeit und Idee des »windischen« Erzherzogtums Kärnten, in: Wilhelm Neumann, Bausteine zur Geschichte Kärntens (Das Kärntner Landesarchiv 12, Klagenfurt 1994) 92 ff.

(56) Einige Belege hat Alfred Ogris, Fürstenstein und Herzogstuhl – Symbole der Kärntner Landesgeschichte im Widerstreit ethnischer und territorialer Tendenzen in der slowenischen Geschichtsschreibung, Publizistik und Politik, in: Carinthia I 183 (1993) 729 ff. gesammelt. Außerdem entstand zum Thema der Abbildung des Fürstensteines 1994 in Wien eine Diplomarbeit, die ich jedoch nicht eingesehen habe: Sabine Nikolay, Der Kärntner Fürstenstein. Abbildungen, Interpretationen, (Be)Deutungen sowie deren Verwendung in Kunst, Kultur und Politik vom Mittelalter bis heute (Diplomarbeit, Universität Wien 1994).

(57) Kahl, Slowenen und Karantanen (wie Anm. 1) 990 ff.; ders., Staat der Karantanen (wie Anm. 38) 401 ff. Vgl. auch Štih, Glose (wie Anm. 53) 486 ff.