18 Mar Zusammenfassung der Diplomarbeit von Mag. Bernhard Höbart
Der Windische Potukel
Implizite und explizite Vorurteile zwischen den Kärntner Volksgruppen
Der Ortstafelkonflikt in Kärnten besteht nun schon seit mehr als 50 Jahren. Das ist für Außenstehende – und auch für so manche KärntnerIn – nur schwer nachzuvollziehen. Die Gründe dafür liegen zum Teil in den Einstellungen der Kärntner Volksgruppen zueinander, nämlich die der Kärntner SlowenInnen und jene der Deutsch-KärntnerInnen. Diese Einstellungen – genauer gesagt Vorurteile oder Stereotypen – rühren einerseits aus der Zweisprachigkeit – Deutsch und Slowenisch – als wesentliches Unterscheidungsmerkmal beider Gruppen und andererseits aus der Geschichte Kärntens.
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs in die Kärntner Vergangenheit gestattet. Bis ins 15. Jahrhundert lebten die beiden Sprachgruppen friedlich miteinander. Erste Differenzialisierungstendenzen entstanden in dieser Zeit mit dem Protestantismus, dem die deutschsprachige Bevölkerung in Kärnten rege zusprach. Die Slowenischsprachigen, damals „Windische“ genannt, blieben überwiegend dem katholischen Glauben treu. Jene Glaubensspaltung hatte bis ins 19. Jahrhundert noch keine Auswirkungen auf das Zusammenleben der Volksgruppen. Erst in dieser Zeit, als erstens Kärnten in den Villacher Kreis mit Hauptstadt Laibach und den Klagenfurter Kreis mit Gubernium Graz geteilt wurde, und zweitens nationalistische Gedanken aufkamen, in denen Identität nicht mehr in der Zugehörigkeit zu einem Stand sondern zu Nationen gesucht wurde, entbrannte der Konflikt. Der slawische Bevölkerungsanteil der Monarchie wollte als Gegengewicht zu Österreich-Ungarn einen eigenen Staat gründen, zu dem der zweisprachige Süden Kärntens dazugehören sollte.
Diese Bestrebungen konnten trotz mehrmaliger Versuche – einmal nach dem ersten Weltkrieg, als die Teilung Kärntens einem Abwehrkampf und einer darauf folgenden Volksabstimmung erlag und einmal nach dem zweiten Weltkrieg, als die Besatzungsmacht Großbritannien das verhinderte – nicht umgesetzt werden. 1955 wurde Österreich von den Besatzungsmächten verlassen und erhielt den Staatsvertrag, in welchem den Minderheiten, wie den Kärntner SlowenInnen, besondere Rechte zugestanden wurden, unter anderem das Recht auf die topographischen Bezeichnungen in ihrer Sprache, also zweisprachige Ortstafeln. Weil die Deutschkärntner aber noch immer den Anschluss Südkärntens an Jugoslawien befürchteten, was sich ihrer Meinung nach in den zweisprachigen Ortstafeln ausdrückte, lehnten sie – und viele tun es bis heute, trotz des Zerfalls Jugoslawiens und dem Beitritt Sloweniens zur Europäischen Union – zweisprachige Ortstafeln ab.
Vor diesem historischen Hintergrund und aufgrund einer durch den Kärntner Abwehrkampf geprägten kulturellen Identität scheinen negative Einstellungen, wie Vorurteile und Stereotypen in beiden Bevölkerungsgruppen nicht weniger zu werden.
Aber was sind Einstellungen überhaupt? „Einstellungen sind ein generelles, andauerndes positives oder negatives Gefühl eines Individuums einem Objekt oder einem Sachverhalt gegenüber.“ (Petty & Cacioppo, 1986) Sie helfen uns, uns in der Flut der auf uns einströmenden Eindrücke zurechtzufinden. Einstellungen regeln unser soziales Verhalten und soziale Handlungen durch innere Zustände, wie z.B. Kognitionen, Wahrnehmungen und Bewertungen und können als Verhaltensdispositionen verstanden werden. Sie beinhalten kognitive, affektive und konative (verhaltensmäßige) Komponenten und helfen uns durch ihre „Nützlichkeitsfunktion“ (Belohnungen zu erhalten bzw. Bestrafungen zu vermeiden), „Wissensfunktion“ (sie geben Orientierung) und durch ihre „Ichverteidigungsfunktion“ (Projektion, Rationalisierung, Verschiebung, etc.). Einstellungen sind nicht „angeboren“ sondern sie werden erlernt.
Vorurteile sind Einstellungen, die falsch, voreilig, verallgemeinernd und klischeehaft sind, nicht an der Realität überprüft wurden, meist eine extrem negative Bewertung beinhalten und stark Änderungsresistent sind. Sie beziehen sich auf Außengruppen und gründen in der affektiven Komponente der Einstellungen.
Stereotype basieren auf der kognitiven Komponente. Sie stellen schematische Modelle unserer sozialen Umwelt dar, die auf formelhaften Denkprozessen wie Kategorisierung, Übergeneralisierung, Akzentuierung und Evaluierung beruhen.
Explizite Einstellungen sind unserem Bewusstsein zugänglich. Unser Verhalten wird aber auch von unbewussten – impliziten – Einstellungen gesteuert, wie Forschungen der letzten 20 Jahre belegten. Die Spuren vergangener Erfahrungen beeinflussen unsere Handlungen auch dann, wenn sie nicht bewusst oder eben explizit erinnert werden. „Halo-Effekte“ (die Attraktivität einer Person z.B. beeinflusst unsere Bewertung ihr gegenüber positiv), „unmittelbare Einstellungen“ (z.B. höhere Sympathie zu einer von zwei unbekannten Fußballmannschaften schon in den ersten paar Spielminuten) oder „Kontexteffekte in der Befragungsforschung“ (Regenwetter beeinflusst die Frage nach Lebenszufriedenheit negativ) zeugen davon.
Ziel der vorliegenden Arbeit war es, zu ergründen, ob explizite mit impliziten Einstellungen zusammenhängen und ob Parameter wie slowenischsprachiges Aufwachsen bzw. Volksgruppenzugehörigkeit, Alter, Schulbildung, Geschlecht, Religionsbekenntnis und Slowenischunterricht die Ausprägung impliziter und expliziter Einstellungen beeinflussen.
Implizite Einstellungen wurden mit dem IAT Implicit Association Test (Greenwald et al., 1998) erhoben. Der IAT ist ein Computer-Testverfahren, bei dem die ProbandInnen deutsche oder slowenische Ortsnamen zur Zielkonzeptdimension „deutsch“ bzw. „slowenisch“ und positive oder negative Prüfwörter, wie „Liebe“, „Sonnenaufgang“, „Katastrophe“ oder „Missbrauch“ zur Attributsdimensionen“gut“ bzw. „schlecht“ zuordnen mussten. Die Dimensionen standen jeweils in der rechten bzw. in der linken oberen Bildschirmecke. Die Stimuluswörter, die im Bildschirmzentrum in zufälliger Reihenfolge erschienen, mussten so schnell wie möglich mit der A“-Taste nach links bzw. mit der „L“-Taste nach rechts zugeordnet werden. Dabei waren fünf Durchgänge zu je 20 Stimuluswörtern zu absolvieren, wobei im dritten und im fünften Durchgang beide Dimensionen kombiniert auftraten. Im dritten Durchgang standen die Dimensionen „slowenisch“ und „gut“ in der linken und „deutsch“ und „schlecht“ in der rechten oberen Bildschirmecke. Im fünften Durchgang waren die Konzepte vertauscht angeordnet, nämlich „deutsch“ und „gut“ in der linken und „slowenisch“ und „schlecht“ in der rechten oberen Bildschirmecke.
Die Testautoren gingen davon aus, dass wenn negative implizite Einstellungen gegen die jeweilige Zielkonzeptdimension (also gegen deutsch oder gegen slowenisch) vorlagen, die Zuordnung zur Kombination mit „schlecht“ schneller von Statten ging. Wenn z.B. eine ProbandIn implizite Vorurteile gegen DeutschkärntnerInnen hatte, war sie schneller, wenn die Kombination „deutsch“ und „schlecht“ in einer Ecke stand und „slowenisch“ und „gut“ in der anderen.
Die Testgröße D errechnete sich aus der Reaktionszeitdifferenz aus den Durchgängen 3 und 5 gebrochen durch die Streuung beider Zuordnungsgruppen und wies ein negatives Vorzeichen für implizite Vorurteile gegen Deutsch-KärntnerInnen und ein positives Vorzeichen für implizite Vorurteile gegen Kärntner SlowenInnen auf.
Explizite Vorurteile wurden mit einem spezifisch konstruierten Fragebogen gemessen, der an die Likert-Skala angelehnt war. Er umfasste 12 Items, die als Aussagen formuliert waren (z.B. „Die Deutsch-Kärntner sind Nationalisten.“ oder „Kärntner SlowenInnen sind mehr auf ihre Vorteile bedacht, als Deutsch-Kärntner.“) und mittels Zustimmung oder Ablehnung auf einer sechsstufigen Skala bewertet werden mussten (1 für „stimme überhaupt nicht zu“ 6 für „stimme sehr zu“). Eine Faktorenanalyse erbrachte die Faktoren 1 „Vorurteile gegen Kärntner SlowenInnen“, 2 „Vorurteile gegen Deutsch-KärntnerInnen“ und 3 „Selbst/Fremdbeurteilung bezüglich Andersheit der Kärntner SlowenInnen“. Darüber hinaus wurden zwei Items mit nominalem Skalenniveau und ein „Gefühlsthermometer“ verwendet, die gesondert ausgewertet wurden.
An der Erhebung nahmen 84 Personen teil, davon 28 Kärntner SlowenInnen, 25 Deutsch-KärntnerInnen, 6 Windische, 9 Personen, die sich zu „anderen“ zählten und 15 Personen, denen das „egal“ war. 46 Personen waren weiblich, 38 männlich und ihr Durchschnittsalter betrug 36,7 Jahre (s 15,15). Die Stichprobe war keine Zufallsstichprobe und daher auch nicht repräsentativ für die „Kärntner Bevölkerung“.
Ergebnisse
Vorangestellt seien die Ergebnisse des IAT, auf welche die Daten des Fragebogens (für die expliziten Vorurteile)und letztlich die Zusammenhänge beider Ergebnisse folgen sollen.
Im IAT wiesen Deutsch-KärntnerInnen (MD = 0,61 und sd = 0,28) und Kärntner SlowenInnen (MD = -0,35, sd = 0,56) signifikante Unterschiede auf (p = .000; df = 51). Die Kärntner SlowenInnen zeigten negative implizite Einstellungen sowohl gegenüber Deutsch-KärntnerInnen als auch gegenüber ihrer eigenen Volksgruppe, ähnlich den Windischen und jenen, die sich keiner Gruppe zuordnen wollten. Lediglich die Deutsch-KärntnerInnen wiesen implizite Vorurteile ausschließlich gegen die Kärntner SlowenInnen auf.
Über die Altersgruppen hinweg betrachtet, hatten Personen im Erwachsenenalter (30 bis 50 Jahre) signifikant niedrigere implizite Vorurteile als die TeilnehmerInnen der übrigen Altersgruppen. Andere Parameter, wie Geschlecht, Religion, Schulbildung und Slowenischunterricht hatten keine Auswirkung auf die Ausprägung impliziter Vorurteile.
Die Stärken der expliziten Vorurteile (gemessen mit dem Fragebogen) sind in der folgenden Tabelle über die mittleren Faktorladungen ausgewiesen, die aus der Faktorenanalyse über den Fragebogen resultierten. Werte um 0,2 und darüber zeigen starke Vorurteile, schwache hingegen liegen unter 0.
Deutsch-KärntnerInnen wiesen mit 0,84 sehr hohe explizite Vorurteile gegen Kärntner SlowenInnen auf, höhere als umgekehrt (0,18 für Kärntner SlowenInnen gegen Deutsch-KärntnerInnen). Im Faktor 3 „Selbst/Fremdbeurteilung bezüglich Andersheit der Kärntner SlowenInnen“ sahen sich die Kärntner SlowenInnen mit dem Wert 0,34 als unterschiedlicher als sie von den übrigen Gruppen bewertet wurden.
Explizite und implizite Vorurteile über die Volksgruppen hinweg IAT – Gefühls-
Effekt thermo-
Volksgruppen n “D” sd Faktor1 sd Faktor 2 sd Faktor 3 sd meter sd
Kärntner SlowenInnen 28 -0,35 0,56 -0,70 0,32 0,18 1 0,34 0,84 1,64 1,13
Deutsch KärntnerInnen 25 0,61 0,28 0,84 1,1 0,04 1 0,2 1 4 1,61
Windische 6 0,25 0,45 -0,10 0,72 -0,13 1,14 -0,48 1,4 2,83 0,98
Andere 9 0,25 0,85 0,26 1,15 -0,18 1 -0,16 0,89 3,44 1,13
Mir ist das egal. 15 0,31 0,65 -0,01 0,65 -0,14 0,86 -0,67 0,85 3 1,24
Anmerkung: n = Anzahl der Personen, IAT Implicit Association Test. D errechnete sich aus Mittelwertsdifferenzen dividiert durch
die gepoolte Standardabweichung beider Durchgänge. Die Werte in den Zellen sind Mittelwerte der Personen einer Volksgruppe.
Positive Werte bezeichneten negative implizite Vorurteile gegenüber Kärntner SlowenInnen, negative Werte bezeichneten negative
Einstellungen gegenüber Deutsch – KärntnerInnen.
Faktor1: explizite Vorurteile gegen Kärntner SlowenInnen, Faktor2: explizite Vorurteile gegenüber Deutsch – KärntnerInnen,
Faktor3: Selbst/Fremdbeurteilung bezüglich Andersheit der Kärntner SlowenInnen, Gefühlsthermometer: Zellen zeigen Mittelwert
der Personen einer Volksgruppe.
Die Faktoren beinhalten mit Mittelwerte der Faktorwerte aller Personen einer Volksgruppe. sd = Standardabweichung der
Mittelwerte der Faktorenwerte aller Personen einer Volksgruppe.
Die Ergebnisse des Gefühlsthermometers „Welche Temperatur empfinden Sie wenn sie das Wort „Kärntner Slowenen“ hören?“ (1 = warm und angenehm, 7 = kalt und unangenehm) zeigten die Kärntner SlowenInnen mit (M = 1,64) einen erwartungsgemäß niedrigen, die Deutsch-KärntnerInnen mit M = 4 einen doch recht hohen Wert.
Das nominalskalierte Item 6 im Fragebogen lautete: „Hätte ich an der Volksabstimmung 1920 teilgenommen, hätte ich wahrscheinlich angekreuzt, dass Kärnten zu folgendem Staat gehören sollte: 1.) Österreich, 2.) Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen.“ gestalteten sich derart, dass für einen Verbleib bei Österreich 67 Personen (85 %) gestimmt hätten und für den Anschluss an das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen 12 Personen (15 %). Zu letzterer Gruppe zählten sich 10 Kärntner SlowenInnen und 2 ProbandInnen aus der Gruppe „andere“.
Die Frage 12 „Wenn Sie heute entscheiden müssten, in welchen Orten zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden sollten, wie würden Sie entscheiden? 1.) Es soll so bleiben, wie es jetzt ist. 2.) Es soll so werden, wie es die Kärntner Slowenenvertretungen vorschlagen. 3.) Alle Ortstafeln im zweisprachigen Gebiet sollen zweisprachig werden. 4.) Alle Ortstafeln in Kärnten sollen einsprachig Deutsch werden. und 5.) Der Artikel 7 des Staatsvertrages 1955 soll umgesetzt werden.“ zeigte, dass 62 von 84 Personen für die Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln waren, darunter alle 28 Kärntner SlowenInnen und auch 12 (von 25) Deutsch-KärntnerInnen. Allerdings waren auch 10 Personen für einsprachig deutsche Ortstafeln.
Signifikante Zusammenhänge zwischen impliziten und expliziten Vorurteilen konnten nur zwischen den expliziten Vorurteilen gegen Kärntner SlowenInnen (Faktor 1 des Fragebogens) und den impliziten Vorurteilen (rspearman = .513) und zwischen dem Gefühlsthermometer und den impliziten Vorurteilen (rspearman = .376) gefunden werden. Der quasi nicht vorhandene Zusammenhang zwischen dem Faktor 2 (explizite Vorurteile gegen Deutsch-KärntnerInnen) und dem IAT von rspearman = -.040 lag vermutlich an den ambivalenten Ergebnissen der Kärntner SlowenInnen im IAT.
Die Ergebnisse werfen die grundlegende interpretative Frage auf, inwieweit und zu welchen Teilen mit dem IAT eher (1) individuelle Einstellungssysteme, (2) breitere soziale Repräsentationen oder aber (3) basale vertraut/fremd-Relationen abgebildet werden. Es zeigen sich tendenziell eher negative Haltungen der Volksgruppen zueinander. Das erprobte psychologische Testverfahren ermöglicht es den Niederschlag des Konfliktes in individuellen Einstellungen zu erfassen. Ein wesentlicher Beitrag der Arbeit liegt in der empirisch begründeten Differenzierung des Begriffes „Einstellung“. Erst eine solche Differenzierung kann dazu beitragen, herauszufinden wie negative Einstellungen verändert und insbesondere wie solche Veränderungen festgestellt werden können.